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Nicht die Falschen sollten nach Ihrem Ableben das Geld zählen

Das deutsche Pflichtteilsrecht ist des einen Freud und des anderen Leid. Im Rahmen letztwilliger Gestaltung sollten Sie frühzeitig die dennoch gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten erkennen und durch vorausschauende Planung nutzen.

Pflichtteilsrecht

Jeder, der sich Gedanken zu seiner Erbfolge macht, sollte die Folgen testamentarischen Regelungen auch im Hinblick auf das Pflichtteilsrecht im Auge behalten, rät Frau Dr. Stefanie Scheuber, Fachanwältin für Erbrecht in Nürnberg.

Der Pflichtteil stellt nach dem deutschen Erbrecht eine Mindestbeteiligung der nächsten Angehörigen am Nachlass dar, die der Erblasser nur in Ausnahmefällen verhindern kann. So führen Pflichtteilsansprüche häufig zu unliebsamen „Verteilungsergebnissen“ und vor anderem zu hohen Liquiditätsbelastungen der Nachlassmasse, die die Erben oftmals in große Schwierigkeiten bringen. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Erbschaftssteuer anfallen kann, die ebenfalls unmittelbar zu bezahlen ist. Dies nicht zuletzt deswegen, weil die Vermögen, die verschenkt oder vererbt werden, immer höher werden (https://www.sh-recht.de/news/1422982979.html).


Was bedeutet Pflichtteil?

1. Grundsatz

Unter einem Pflichtteil versteht man eine Mindestbeteiligung am Nachlass in Form eines Geldanspruchs. Dieses Konstrukt resultiert noch aus den Anfängen des BGB. Um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts starben Eltern deutlich früher, Abkömmlinge waren bei Ableben deutlich jünger. Insofern wollte der Gesetzgeber einen Rechtsanspruch der nächsten Angehörigen schaffen, der deren Versorgung sicherstellt, um die Allgemeinheit nicht zu belasten. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen – auch der, der früheren DDR – stellt das BGB nicht auf die Bedürftigkeit des Pflichtteilsberechtigten ab.

2. Was ist ein ordentlicher Pflichtteil?

Unter dem ordentlichen Pflichtteil versteht man den Anspruch, der sich ergibt, zieht man von den am Todestag des Erblassers vorhandenen Nachlassaktiva (= vorhandene Werte) die Nachlasspassiva (= Schulden) ab. Welche Nachlasspassiva abzugsfähig sind, geben Gesetz und Rechtsprechung detailliert vor. Mit dieser Rechnungoption ergibt sich der sogenannte Reinnachlass. Der Wert des Reinnachlass multipliziert mit der Pflichtteilsquote ergibt den Geldanspruch, den der Pflichtteilsberechtigte im Rahmen seines ordentlichen Pflichtteils geltend machen kann.

3. Pflichtteilsergänzung – was ist das?

Unter einem Pflichtteilsergänzungsanspruch versteht man den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Beteiligung an solchen Nachlasswerten, die der Erblasser zwar zu seinem Ableben nicht mehr in seinem Eigentum hatte, vielmehr im Vorfeld seines Ablebens verschenkt hat. Wann genau solche Schenkungen zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen führen, geben Gesetz und Rechtsprechung im Detail vor.

So sind Geschenke an dritte Personen, auch eigene Kinder oder Enkel, regelmäßig nur im Rahmen von 10 Jahren berücksichtigungsfähig, Schenkungen an den Ehegatten während der Ehezeit allerdings ohne zeitliche Begrenzung. Wird verschenkt und der schenkende Erblasser behält sich wesentliche Nutzungsrechte, z.B. einen Nießbrauch an einem Einfamilienhaus, vor, läuft allerdings in der Regel die Zehnjahresfrist nicht an mit der Folge, dass auch solche Geschenke im Rahmen der Pflichtteilsergänzung voll berücksichtigt werden.

Unter bestimmten Voraussetzungen vermindert sich der Wert des Geschenks pro Jahr um 1/10 bis der Wert soweit abgeschmolzen ist, dass für die Berechnung der Pflichtteilsergänzung nichts mehr übrig bleibt (http://dejure.org/gesetze/BGB/2325.html).


Wer ist pflichtteilsberechtigt und mit welcher Quote?

1. gesetzliche Erben 1. Ordnung und Ehegatten

Das Gesetz begrenzt den Kreis der Pflichtteilsberechtigten mit § 2303 BGB eng. Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich die eigenen Kinder (Abkömmlinge), bei deren Vorverstorben die Enkelkinder. Daneben ist der Ehegatte pflichtteilsberechtigt.

Das gesetzliche Erbrecht und damit auch die Pflichtteilsquote ist abhängig von den konkreten Familienverhältnissen des Erblassers. War er verheiratet, spielt auch der Güterstand eine Rolle. Der Ehegatte des Erblassers wird in der Regel eine gesetzliche Erbquote von ½ haben, so dass sein Pflichtteil 1/4 beträgt. Vorhandene Kinder teilen sich dann die 2. Hälfte des Nachlasses zu gleichen Teilen, so dass der Pflichtteilsanspruch dann wiederum die Hälfte dieses Teils beträgt.

2. Eltern und Geschwister

Die eigenen Eltern des Erblassers sind nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn keine Kinder oder Enkel vorhanden sind, pflichtteilsberechtigt. Geschwister des Erblassers sind niemals pflichtteilsberechtigt, es sei denn, die Eltern haben einen Pflichtteilsanspruch und versterben, bevor dieser erfüllt ist. Der entstandene Pflichtteilsanspruch ist vererblich.


Wann entsteht ein Pflichtteilsanspruch?

In der Regel entsteht ein Pflichtteilsanspruch mit Enterbung einer derjenigen Personen, die das Gesetz mit dem Pflichtteilsanspruch privilegieren möchte. Das Entstehen ist unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte oder auch der Erbe den Anspruch kennt.

Als Grundsatz gilt: Wer Erbe ist, hat keinen Pflichtteilsanspruch. Wer die Erbschaft ausschlägt, erhält dadurch in der Regel auch keinen Pflichtteilsanspruch. Das Gesetz kennt hiervon nur 3 Ausnahmen.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch dagegen ist selbstständig und fällt auch dann an, wenn der Pflichtteilsberechtigte Erbe geworden ist. Es bleibt dann nur zu überprüfen, ob die Erbschaft den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht aufzehrt. Selbst, wenn der Erbe ausschlägt, hat dies keine Auswirkung auf dem Pflichtteilsergänzungsanspruch, der grundsätzlich bestehen bleibt.

Der Pflichtteilsanspruch mit Pflichtteilsergänzung ist sofort mit Ableben des Erblassers fällig. Es handelt sich hierbei um einen Geldanspruch. Selbst wenn der Nachlass nicht liquide ist, darauf weist Frau Rechtsanwältin Dr. Scheuber, Rudolphstraße 30 in Nürnberg, hin, ändert dies grundsätzlich nichts daran, dass der Pflichtteilsberechtigte die Befriedigung seines Anspruchs sofort verlangen kann.


Kann ich Stundung des Pflichtteilsanspruchs verlangen?

§ 2331 a BGB sieht eine Stundung des Pflichtteils, d.h. also, ein Hinausschieben der Zahlung, nur vor, wenn für den Erben die sofortige Zahlung zu extremen Härten führen würde. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn eine Witwe nach Tod ihres Mannes gezwungen wäre, dass von ihr selbst bewohnte eheliche Haus zu verkaufen, um Pflichtteilsansprüche der Kinder zu erfüllen.

Auf die Stundung, so Frau Dr. Stefanie Scheuber, Fachanwältin für Erbrecht in Nürnberg, sollte man sich also nicht verlassen.


Verjähren Pflichtteilsansprüche?

Ja, hier gilt der Grundsatz, dass Pflichtteilsansprüche ab dem Ende des Jahres, in dem sie entstanden sind und der Pflichtteilsberechtigte von ihnen Kenntnis erlangt hat, innerhalb von 3 Jahren verjähren. Der Pflichtteilsberechtigte muss vor Ablauf dieser 3 Jahren seinen Anspruch gerichtlich geltend machen, um die Verjährung zu verhindern (https://www.sh-recht.de/news/1404234405.html).

Expertentipp:

Nehmen Sie die Planung Ihres Nachlasses gerade auch vor dem Hintergrund drohender Pflichtteilsansprüche nicht auf die leichte Schulter! Es müssen nicht nur im Rahmen einer letztwilligen Verfügung die „richtigen“ Regelungen mit eindeutiger Wortwahl getroffen werden. Vielmehr sollte eine Liquiditätsberechnung durchgeführt werden unter Berücksichtigung laufender Einkünfte, z.B. aus Renten, um sicherzustellen, dass ein Erbe durch unvermeidbare Pflichtteilsansprüche nicht finanziell ausblutet. Nur wenige Maßnahmen können helfen, den Druck des Pflichtteils zu verringern. Hierbei ist immer an die sogenannte „Flucht in die Pflichtteilsergänzung“, an Schenkungen oder Ähnliches zu denken. Letztendlich wird eine optimale Lösung im Rahmen des gesetzlich Möglichen immer von den Umständen des Einzelfalls abhängen.